Meine DataViz-Held*innen (1/5): William Playfair – das kriminelle Genie

graphomate Blog William Playfair

Ich hatte im letzten Jahr – sagen wir – etwas mehr Zeit. Vortragsreisen und Kundenbesuche fielen aus und unsere regelmäßigen Webinare beschränkten sich auf die Vorstellung unserer Neuentwicklungen für SAC, Power BI und Tableau. 

Da kam mir das Angebot der SAP sehr recht, einen Vortrag auf dem SAP Analytics Forum im Herbst zu halten, um meine grauen Zellen wieder zu reaktivieren. 
Nur … was sollte ich erzählen – neben den anderen, rein technischen Beiträgen? 
Meine typischen Visualisierungsvorträge hatte ich ja schon auf ähnlichen Veranstaltungen in den letzten Jahren präsentiert.  
Gibt es so etwas wie ein Extrakt aus meinen 20 Jahren Beschäftigung mit dem Thema „Datenvisualisierung“ und falls ja, wie stelle ich das spannend in 45 min vor? 

Schnell war die Idee geboren, meine Dataviz-Themen mit der Geschichte der mir wichtigen Persönlichkeiten zu verweben, um das Ganze etwas spannender zu machen. 

Hier also der erste Teil einer Serie von fünf Blog-Beiträgen zu meinen Helden*innen der Datenvisualisierung: 

  1. William Playfair – das kriminelle Genie 
  2. Florence Nightingale -The Lady with the lamb 
  3. Willard C. Brinton – der unbekannte Pionier 
  4. Edward Tufte – der Guru des Informationdesigns 
  5. Rolf Hichert – der Mann für gewisse Standards 
graphomate Helden der Datenvisualisierung
graphomate Held*innen der Datenvisualisierung

Beginnen wir direkt mit der schillerndsten Persönlichkeit – dem „bad guy“ meiner Held*innen der Datenvisualisierung: William Playfair. 

graphomate Held William Playfair Porträt
William Playfair

William Playfairs Lebenseinstellung – und auch Lebensweg – lässt sich wohl am trefflichsten mit seinen eigenen Worten zusammenfassen:  

„Where there is no danger there is neither gain nor glory.“  

(„Wo keine Gefahr ist, ist weder Gewinn noch Ruhm.“) 
 
William Playfair, 20. März 1793 

William wurde 1759 in Schottland in der Nähe von Dundee geboren. 

Da sein Vater früh starb, wurde er durch seinen älteren Bruder John – einen bekannten Mathematiker – erzogen und unterrichtet. Über ihn hatte er auch schon früh Kontakt zu Geistesgrößen der Aufklärung. So ging angeblich Adam Smith – der Vater der Marktwirtschaft – bei Familie Playfair ein und aus. 

Mit 17 wurde William Assistent von James Watt, dem Erfinder der Dampfmaschine. 

Er sah sich jedoch schnell zu Höherem berufen und auf der Suche nach dem großen Geld. 

So zog es ihn 3 Jahre später nach London, wo er mit Partnern eine Silberschmiede gründete.  
Die Silberschmiede ging allerdings kurze Zeit später unter recht dubiosen Umständen pleite – hier zeigten sich erste Indizien seines sagen wir „besonderen“ Charakters. 

“In a pattern to be repeated many times in the coming years, Playfair had embarked  
upon a speculative scheme that was doomed to failure.” 

Ian Spence and Howard Wainer, 2005 
http://www.jstor.org/stable/27643669 

In den nächsten Jahren meldete William einige Patente für die Metallbearbeitung an und wandte sich dem Verfassen von ökonomischen Schriften zu. Und jetzt wird es spannend. Sein zweites Buch „The Commercial and Political Atlas“ von 1786 sollte sich als Meilenstein der Statistik herausstellen – wenn auch erst viele Jahrzehnte nach seinem Tod. 

graphomate Held William Playfair Atlas Cover
Atlas-Cover von William Playfair

Obwohl als Atlas betitelt, enthielt es keine (!) einzige Landkarte. Stattdessen 43 Liniendiagramme und ein Balkendiagramm. 

Etwas Vergleichbares hatte die Welt noch nicht gesehen: William hatte mal eben Linien- und Balkendiagramme erfunden. 

Man muss sich das vorstellen: in einer Zeit ohne Computer, die Bücher voll mit Tabellen setzt sich William nach einer desaströsen Pleite hin und revolutioniert mal eben im Vorbeigehen die Darstellung von Informationen – nur mit Stift und Lineal. 

Inhaltlich beschäftigt sich der Atlas mit Englands Außenhandel und erläutert die Import-/Export-Überschüsse Englands mit verschiedenen Ländern. 

Ein Exemplar des Atlas erhielt der französischen König Ludwig XVI von einem englischen Politiker und Freund Playfairs. Der König, der das erste Mal Liniendiagramme sah, war begeistert: 

“[the king] at once understood the charts and was highly pleased. He said they spoke  
all languages and were very clear and easily understood.” 

Playfair, 1822 
graphomate Held William Playfair und das Walzwerk
William Playfair und das Walzwerk

Als der Atlas jedoch nicht den angestrebten Ruhm und finanziellen Erfolg brachte, verließ Playfair London in Richtung Festland. Williams erste Station war tatsächlich Paris, wo er mit seinen Kenntnissen über Metallbearbeitung ein Walzwerk plante und Investoren suchte. 
Ludwig XVI erfuhr von diesem Vorhaben und beteiligte sich an Playfairs Unternehmen, in dem er eine Immobilie beisteuerte. Barmittel waren gerade recht rar …  

Zu dieser Zeit ahnte Ludwig sicher nicht, dass sich Playfair später als Spion im Geheimdienst ihrer Majestät Königin Viktoria gegen Frankreich einen Namen machen sollte. 

Aber auch das Walzwerk kam nie in Gang und Playfair war in einige schreckliche wirtschaftliche Skandale verwickelt, so dass er gezwungen war, Frankreich kurz vor dem Terror von 1793 zu verlassen. 

In den nächsten Jahrzehnten verdingte er sich in halb Europa als Spion, Investment-Broker, politischer Ökonom, Publizist, Grundstücksspekulant und Banker. 

Auch zurück in England wurde er wegen betrügerischer Machenschaften angeklagt und entging oft nur knapp einer Gefängnisstrafe. Zum Ende seines Lebens und ziemlich pleite versuchte er noch, den reichsten Mann Schottlands – Lord Douglas – zu erpressen. Dies ging auch komplett schief: die vermeintlichen Beweispapiere haben wohl nie existiert. 

Kurz gesagt, er war ein brillanter Schurke, dessen grafische Erfindungen jedoch zu seinen Lebzeiten keine oder nur wenig Anerkennung fanden. Über sein Leben gibt es sogar eine spannende Biographie: “Playfair: The True Story of the British Secret Agent Who Changed How We See the World” von Bruce Berkowitz. 

OK, schillernde Persönlichkeit, der William, aber warum sind die Linien- und Balkendiagramme im Atlas nun so besonders, so bedeutsam für mich? 

Nun, zunächst mal gab es einfach keine Diagramme. Insofern ist Playfair der erste „Information Designer“. Niemand war vorher auf die Idee gekommen, Import-Export Daten graphisch darzustellen. Man kannte nur Tabellen, die alles andere als einfach interpretierbar waren. Die Daten zu vergleichen oder gar einen zugrunde liegenden Trend über die Zeit zu erkennen, war schwierig. Hier ein Beispiel aus Playfairs Atlas: 

graphomate Held William Playfair Atlass Grafik
Beispiel aus dem Atlas von William Playfair

Was für eine großartige Idee von Playfair, Import-Export-Daten mittels zweier Liniendiagramme in ein Koordinatensystem zu bringen … und das in derart hoher Qualität – allen Richtlinien guter Datenvisualisierung wird hier entsprochen. 

Innerhalb weniger Sekunden können wir einen Trend und den Einbruch in den 1770er Jahren erkennen. Das “sieht” man in einer Tabelle nicht! Stellt sich natürlich die Frage was passiert war? Nun, der amerikanische Unabhängigkeitskrieg war ausgebrochen. 
Nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für gute Handelsbeziehungen. 

OK, Diagramme helfen, Muster, Trends, Ausreißer und andere Zusammenhänge in Daten schnell und nachhaltig zu erkennen. Zahlen in einer Tabelle müssen gelesen und von unserem Auge-Gehirn-System aufwendig verarbeitet werden. 

Daher mögen wir bei graphomate grafische Tabellen. Das sind Tabellen, die um visuelle Elemente angereichert werden, um die abgebildeten Daten besser interpretieren zu können. 

graphomate Held William Playfair original Tabellenlayout
Tabellenlayout aus der Zeit von William Playfair

Nehmen wir doch mal ein typisches Tabellenlayout aus der Zeit Playfairs. Im Original ist die Tabelle links auf mehrere Seiten eines Buches verteilt. Die Tabelle links zeigt nur die erste Hälfte einer Seite.  

Man liest die Zeilen, muss sich die Daten merken und im Kopf rechnen, um eine Vorstellung der Verhältnisse zu erhalten.  

Nehmen wir dagegen diese Daten – sowie weitere Datenspalten – und visualisieren sie mit unserer graphomate matrix erhalten wir folgendes Bild: 

graphomate Held William Playfair Tabellenlayout heute
Tabellenlayout von William Playfair visualisiert mit der graphomate matrix

Ok, ich habe Finanzvorstände kennen gelernt, die haben auf Tabellen an Wänden gestarrt und auch aus diesen in atemberaubender Geschwindigkeit die für Sie wichtigen Infos herausgeholt. Aber ich denke es wird deutlich, dass die Darstellung von Daten in Tabellen angereichert um Sparklines, Balkendiagramme und andere visuelle Elemente besser und schneller Übersicht und Erkenntnisse schafft als reine Zahlentapeten. 

graphomate Held William Playfair Kreisdiagramm
Kreisdiagramm von William Playfair

Zu guter Letzt: Playfair hat Jahrzehnte nach dem Atlas auch noch mal eben das Kreisdiagramm – oder Kuchendiagramm – erfunden. Ein eher umstrittener Visualisierungstyp: schön rund und eye-fancy. 🙂 
 
Wir „lieben“ runde Visualisierungen, obwohl sie nachweislich schwerer verständlich sind als Balken. 

Mehr dazu im nächsten Teil meiner Blogreihe, in dem es um Florence Nightingale und Ihr berühmtes Rose Chart geht. 

Stay tuned

Lars 

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