Endlich: gefüllt, gerahmt, schraffiert … das Buch von Rolf Hichert und Jürgen Faisst

Lange haben wir gewartet, aber seit Anfang Juni liegt es im Handel: Das Buch über Visualisierung von Managementinformationen von Rolf Hichert. Keine Klickvorschrift zur Generierung eines Stapeldiagramms in Excel, kein Poster oder Website mit Dutzenden von (SUCCESS-)Regeln sondern ein Fachbuch über 232 Seiten.

Vorab: „Dieses Buch ist ein gutes Buch. Der Verfasser hat es selbst geschrieben.“[1] 😊

OK, im Ernst.

Das Buch ist wirklich sehr schön aufgemacht: wertiges Papier, mehrfarbig gedruckt und sogar mit „Buch-Bändsel“ … das macht was her.
Das Layout ist zweispaltig und damit sehr lesefreundlich und die Seiten zumeist auch horizontal zweigeteilt: oben Diagramme oder andere Berichtsobjekte und darunter der erläuternde Text:

Gefällt mir auch sehr gut.
Kleine Anekdote am Rande: Die meisten Diagramme und Tabellen in der oberen Layouthälfte sind tatsächlich mit der Hand gezeichnet!
Weniger gut gelungen empfinde ich die Verwendung der Farben Schwarz und Orange. Mit den schwarzen Rahmen der Zusammenfassungen an den Kapitelenden geht für mich die Leichtigkeit des Layouts verloren und das verwendete Orange für Verweise macht mich kirre beim Lesen. Letzteres mag allerdings an meiner starken altersbedingten Fehlsichtigkeit liegen.

Zum Inhalt: Das Buch besteht aus vier Kapiteln mit Einführung und Ausblick – sowie einem Index.

Kapitel 1 thematisiert das Grundthema: Wie können wir Situationen einfacher und schneller einschätzen. Durch Mustererkennung! Und das geht am besten indem wir Daten visualisieren.
Ich mag den historischen Abriss in diesem Kapitel. Vielleicht weil ich mich selbst ziemlich intensiv mit diesem Thema beschäftigt habe. Insbesondere mit William Playfair, dem alten Schlawiner und Bilanzfälscher …

Die folgenden Kapitel sind sicherlich die zwei Wichtigsten: In Kapitel 2 wird zunächst eine visuelle Sprache für die Geschäftskommunikation ausgearbeitet und diese in Kapitel 3 auf Diagramme und Tabellen in betriebswirtschaftlichen Kontexten exemplarisch angewendet. Ich habe diese Kapitel mit großer Begeisterung gelesen, sind sie doch endlich eine schriftlich fixierte Fassung der Inhalte aus den angebotenen IBCS Seminaren. Perfekt zum Nachschlagen und Vertiefen!

In einem Exkurs zu Kapitel 2 wird ein Vorschlag unterbreitet, wie die semantischen Vorgaben für Kennzahlentypen erweitert werden könnte. So wird der Kennzahl „Umsatz“ das Symbol „˄“ während „Kosten“ mit einem „˅“ beschrieben werden. Auch für weitere Kennzahlen wie Vermögen, Verbindlichkeiten, Stammkapital … erarbeiten die Autoren Symbole.
So sehr ich das Anliegen nachvollziehen kann, den Notationsgedanken um weitere Elemente zu erweitern und ich dies ausdrücklich unterstütze, so sehr wird mir klar, wie schwer das womöglich werden wird. Die Komplexität ist einfach sehr hoch. Die Symbole sind nicht selbsterklärend und müssen – wie eben auch eine Notenschrift oder die Elemente eines Schaltplans – gelernt werden. Auch die Autoren merken an, dass „Aufgrund der Vielfalt und unternehmensspezifischen Individualität von Strukturdimensionen [und Kennzahlen] … eine umfassende Standardisierung kaum möglich“ erscheint. [2]

Meines Erachtens wäre ein erster und vielleicht einfacherer Schritt in die richtige Richtung die Verwendung von Icons – was die Autoren auch vorschlagen.[3] Hier ein Buch-Beispiel aus der Automobilindustrie:

Ich kann mich für Icons sehr begeistern, deren Verwendung aber noch weiter spinnen und in Richtung des ISOTYPE-Konzepts von Otto Neurath denken:

Wir entwickeln gerade eine neue Komponente, die die Verwendung von Icons als sog. Pictographs – Balken aus Icons – ermöglicht. Wissenschaftliche Studien belegen, dass „pictographs embedded as part of data mapping are beneficial … and entice people to inspect a visualization more closely“.[4]

In Kapitel 4 werden die Struktur und Inhalte eines Notationshandbuches angerissen sowie Vorlagen für und Beispiele aus der Praxis gezeigt. Beeindruckend zu sehen in welcher Qualität einige Unternehmen ihr Berichtswesen entsprechend der IBCS aufgebaut haben. Auch ein Kundenbeispiel der graphomate ist natürlich enthalten: ein interaktives Dashboard des Schweizer Retailer Migrolino.

An einigen Stellen weichen die Vorschläge der Autoren von den International Business Communication Standards (IBCS) ab oder gehen über diese hinaus.[5] Es handelt sich daher nicht um ein IBCS-Anwendungsbuch der reinen Lehre, sondern ist um eigene Vorstellungen der Autoren angereichert. Für mich sehr wichtig zu erwähnen, da wir uns als IBCS-zertifizierter Software-Anbieter an den IBCS orientieren (müssen).

Was ich mir gewünscht hätte – aber das ist grundsätzlich ein Thema in der Visualisierungsszene – ist ein Kapitel zur wissenschaftlichen Fundierung der visuellen Vorschläge der Autoren. Das wird leider nur sehr kurz angerissen[6] und ansonsten viel Edward Tufte zitiert.

Zusammenfassend kann ich klar sagen, dass das Buch von Rolf Hichert und Jürgen Faisst für jeden, der sich mit der Standardisierung des Berichtswesens bzw. der Erstellung eines Notationshandbuchs beschäftigen will, einen wohlstrukturierten und gut lesbaren Einstieg darstellt.
Von daher: Klare Kaufempfehlung!

Schönen Spätsommer

Lars

PS: Als ich das erste Mal von dem geplanten Titel hörte, musste ich spontan an ein Buch von Max Goldt denken: „Ungeduscht, geduzt und ausgebuht“ – auch sehr empfehlenswert. 😊

 

[1] Helge Schneider, Guten Tach. Auf Wiedersehen: Autobiographie

[2] S.113

[3] S.128

[4] https://visxvision.files.wordpress.com/2017/08/p1191-haroz.pdf, S. 1199

[5] S.52

[6] S.45, S.225

 

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