Visualisierung: Mein Frühstück in Spanien

Mitte November durfte ich Madrid unsicher machen und mich über die neuesten SAP Entwicklungen auf der SAP TechEd informieren. Mein Hotel bot nur inländische Zeitungen als Frühstückslektüre. Nun bin ich des Spanischen zwar nicht mächtig, aber die visuelle Sprache von Diagrammen ist ja allgemeingültig. Ein Schaubild in der El Mundo hatte mich gepackt. In der Tageszeitung „El Mundo“ vom 12.11.2012 fand ich morgens im Wirtschaftsteil folgende Darstellung:

Ich war überrascht und begeistert!

Zwar verstand ich nicht wirklich worum es ging, aber die Auswahl des Diagrammtyps und die Anordnung der Diagramme entsprechen doch schon sehr meinen Vorstellung von guter Informationsvisualisierung.

Leider nur auf den ersten Blick. Dann schaute ich genauer hin.
Spanien hat wohl das Problem, dass Steuerschulden nicht gezahlt werden und die Liquidität des Staates arg gefährdet ist. Wenn ich die Botschaft – die leider fehlt – des Schaubilds richtig verstehe, so wurden von 2010 auf 2011 zwar mehr Steuerpflichtige geprüft und Steuerbescheide erstellt. Dennoch sank die Summe der eingezogenen Steuerschulden. Soweit, so schlecht – für Spanien.

Doch zurück zur visuellen Umsetzung. Was gefällt mir?

  1. Die Auswahl eines horizontal ausgerichteten Balkendiagramms statt eines Kuchendiagramms: Respekt, eher selten in den Printmedien anzutreffen!
  2. Die Gegenüberstellung von aktuellen Jahres- und Vorjahreswerten und den prozentualen Abweichungen finde ich super!
  3. Die wohl wichtigste Zahl -8,19% ist hervorgehoben.
  4. Das Ganze einfach und grafisch zurückhaltend umgesetzt – kein bunter Schnick-Schnack.

Was gefällt mir denn nun nicht:

  1. Absolutes No-Go: Der visuelle Vergleich der Balken ist unmöglich: die absoluten Werte der Jahre sind unterschiedlich skaliert. Mit dem Effekt, dass die Balken für 2011 kürzer sind, als von 2010 – obwohl die abzubildenden Werte der ersten beiden Balken größer sind.
  2. Sind Datenbeschriftungen mit fünf Stellen bzw. zwei Stellen nach dem Komma wirklich notwendig?
  3. Die Datenbeschriftungen sind weit entfernt von den zugehörigen Balkenelementen.
  4. Wie genau berechnet sich „%-Variacion“?
  5. Klares Titelkonzept und Botschaft fehlt!

Und überhaupt: Sind Vorjahreswerte interessant, oder nur die Veränderung zu diesen?

Ich tendiere dazu, Vorjahreswerte nicht prominent zu zeigen. Vorjahr ist gestern, gelaufen, vorbei! Daher nur leicht angedeutet – hier mit grauen Balken im Hintergrund – und eher die Veränderung zum Vorjahr hervorheben und das ganze Schaubild ein bisschen weniger mächtig, dann bleibt Platz für mehr Informationen:

Außerdem differenziere ich Mengen- und Wertegrößen, in dem ich „dickere“ Balken für die Anzahl der geprüften Steuerpflichtigen und der erlassenen Bescheide verwende. Prozentabweichungen werden als Nadeln dargestellt, um sie von absoluten Werten zu unterscheiden. Die graue Achse zeigt, dass es sich um die Prozentabweichung zum 2010 handelt.

Zum Schluss ein bisschen Werbung: Unser neues Release, das wir im Dezember veröffentlichen werden, ermöglicht die Abbildung von Prozentabweichungen mit Kreiselementen – einfach per Mausklick. Das ganze Schaubild habe ich übrigens in wenigen Minuten mit unserem graphomate Addon entwickelt:

Grundsätzlich kann unser Auge-Gehirn-System aber Längen besser als Kreisflächen abschätzen. Daher auch die allgegenwärtige Abneigung gegen Kuchendiagramme …

Der rote Kreis ist aber ein schönes Alarmsignal, daher würde ich in diesem speziellen Fall die Kreise tatsächlich den Nadeln vorziehen. Auch bleibt Platz, um die Veränderung des aktuellen Jahres 2012 zu 2011 zu visualisieren. Ich will als Bürger doch wissen, wie es nach der Einschätzung des spanischen Finanzministeriums mit diesem Problem weiter geht. Also zeige ich die prognostizierten Veränderungen für 2012 zu 2011 mit schraffierten Kreisen auf schwarzer Achse – die Werte sind allerdings erfunden.

Ich wäre ein Fan solch einer Notation, die in einer Tageszeitung durchgehend verwendet wird. Erfordert etwas Eingewöhnung aber unsere Kunden aus der Wirtschaft kriegen das auch hin.

Gut, dass sich mir Madrid auch wettertechnisch von seiner besten Seite gezeigt hat. So konnte ich morgens durch den Retiro-Park laufen statt weiter spanische Zeitungen zu entschlüsseln.
Auch mein Vitamin D-Haushalt ist ausgeglichen und ich ertrage das grau-in-grau hier oben im Norden besser.

Kuschelige Winterabende,

Unterschrift

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